Freitag, 24. Juni 2016

Authentisch leben

Wir zwängen uns in alle möglichen Rollen, um dem Bild zu entsprechen, das wir selber von uns geben wollen oder von dem wir glauben, dass andere es von uns haben. Auf uns lasten mit den Erwartungen unserer Eltern und unseres Clans auch die Anforderungen, die unsere Gesellschaft an uns stellt. Aus uns sollte einmal etwas werden - als ob wir nicht schon komplett auf die Welt gekommen sind. Um Mutter und Vater zu gefallen, was ja für ein Kind lebenswichtig ist, haben wir uns in alle möglichen Richtungen verbiegen lassen und vergessen, dass wir genau so richtig sind, wie wir sind. Man muss nicht erst Dinge in uns hinein tun, damit wir besser werden. Wir sind von Natur aus perfekt. Wir sind, was wir sind - das Meer, den Himmel oder den Frühling kann man schliesslich auch nicht besser machen und jedes einzelne Blatt eines Baumes ist von so hoher Perfektion, dass man ihm nichts mehr hinzufügen muss. Anstatt uns also hierhin oder dorthin auszurichten und uns mit dem unserer Gesellschaftsform entsprechenden Wissen zu füllen, sollten wir nicht vielmehr anfangen, uns zu leeren und das zu ergründen, was in uns ist? 

Wir werden mit Neugier, Enthusiasmus und dem Wunsch nach Verbindung geboren. Ohne Erfüllung dieser Bedürfnisse gehen wir zugrunde. Ein Kind, das keinen Kontakt bekommt, stirbt. So tun wir alles, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Alles dreht sich immer wieder darum: Wir wollen gesehen werden, anerkannt, bestätigt, geliebt. Und wenn wir das nicht bekommen, dann soll man uns wenigstens fürchten oder hassen. Schliesslich ist auch das eine Form von Verbindung. Die meiste Zeit unseres Lebens verbringen wir mit Gedanken daran, was andere uns angetan haben oder antun könnten. Wir machen uns krumm dafür, ihre Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen, um dann als Belohnung ignoriert oder missachtet zu werden. Nach all dem, was ich für dich getan habe, tust du mir das an!

Das Vernachlässigen der eigenen Bedürfnisse und Wünsche ist der Nährboden für jede Art von Konflikt und die Basis nicht nur für persönliches Unglück und Krankheit, sondern auch für Terror und Krieg. Wir rechtfertigen unser Tun damit, dass der andere uns nicht achtet. Um das wieder gut zu machen, sind alle Mittel recht. Diesen Teufelskreis können wir nur durchbrechen, wenn wir uns uns selber zuwenden und unserer Art zu sein. Achten wir uns eigentlich selber? Wie können wir etwas von anderen erwarten, wozu wir selber nicht in der Lage sind? Leben wir so, wie es unserem Wesen entspricht? Entfalten wir unsere Talente? Kennen wir sie überhaupt? Wissen wir denn eigentlich, wer wir im Grunde sind und was wir hier machen, abgesehen von dem Versuch, unsere physikalischen Bedürfnisse zu erfüllen?

Natürlich ist es bequemer, andere für unsere Missstände verantwortlich zu machen. Doch bevor wir sie beschuldigen, sollten wir bei uns nachgucken. Nicht, um dann umgekehrt alle Fehler bei uns zu suchen, sondern um in uns hinein zu spüren, was da eigentlich los ist. Wie fühlen wir uns? Wo pocht, drückt oder klemmt es? Dann merken wir vielleicht, dass das Problem im Grunde gar nicht beim anderen liegt, sondern bei uns selber. Die Erkenntnis ist nicht besonders angenehm. Doch die gute Nachricht ist, dass wir jetzt dazu in der Lage sind, an der Situation, in der wir uns gefangen fühlten, etwas zu ändern. Auf die anderen und die Umstände haben wir so gut wie keinen Einfluss - doch unsere Haltung zu den Dingen, die können wir ändern. 

Wenn wir uns dem zuwenden, was wir in unserem Wesen sind und das tun, was uns wirklich erfüllt und Freude macht, müssen wir nicht ständig der Bestätigung im Aussen hinterher laufen. Wir finden sie im Innen, im Einklang mit uns selber. Wenn unser Denken und Fühlen, unsere Worte und unser Handeln miteinander überein stimmen, dann können wir uns frei auf das Leben einlassen und unserer Wege ziehen, ohne andere zu manipulieren oder zu unterdrücken, damit sie uns das geben, was wir uns selber nicht geben können. Wir werden autonom. Auto-nom: Wir geben uns selber unseren Namen und damit unsere Identität.