Samstag, 14. April 2018

Danke, Welt!


Es ist nicht einfach, in einer Zeit zu leben, in der sich gerade das sechste große Massensterben vollzieht und unsere Zivilisation ihrem Untergang entgegen taumelt. Das letzte große Sterben betraf die Dinosaurier, aktuell trifft es vielleicht den Menschen. Höchste Zeit für mehr Dankbarkeit. 

Ein neuer Artikel im Rubikon:


Danke: an den Frühling, der wie jedes Jahr wieder gekommen ist. An die aufbrechende Natur, die Blätter, Blüten und Grashalme im frischen Gewand. An die Sonne, die immer intensiver wärmt, an die sanfte Brise im Gesicht, an die Vögel, die noch singen mögen, auch wenn die Hälfte ihrer Artgenossen nicht mehr geboren werden durfte. 

Danke dafür, an einer Zeit wie dieser teilhaben zu dürfen. Dafür, den Boden unter den Füssen beben zu spüren und diesen unerhörten und gigantischen Wandel bis in die Knochen hinein zu fühlen. Danke für den Zweifel, der mir immer wieder die Energie gibt, das Alte in Frage zu stellen und Platz für Neues zu schaffen. Für die Unsicherheit, die Risse in meine alten Gewissheiten zieht, durch die Licht auf mein verstaubtes Denken fallen kann.

Danke für die Auseinandersetzungen und Diskussionen, die ich führen kann, und die tiefe Verbundenheit, die ich dabei empfinde. Wir alle sind aus demselben Stoff gemacht. Denn wir alle sehnen uns nach Verständnis, Geborgenheit, Liebe, wir alle suchen die Verbindung und das Gefühl, angenommen zu werden, so wie wir sind.

Danke für meine Ecken und Kanten, meine Verletzlichkeit, meine Schwächen, meine dunklen Seiten. Sie zeigen mir, wofür ich Sorge zu tragen habe und was in mir noch beleuchtet werden kann, geglättet, ausgeglichen, gepflegt. Danke für meine inneren Wüsten und Abgründe. Denn sie erinnern mich daran, Brücken zu bauen und Vertrocknetes zu begießen.

Danke für das Unerwartete, das mir geschieht, für die Unfälle, die Krankheiten, die Trennungen und Verluste. Sie rütteln mich auf und zeigen mir, was ich in mir noch anzunehmen habe. Denn wie könnte ich außerhalb von mir etwas annehmen und andere akzeptieren, wenn ich es innerlich nicht kann?

Danke für all jene, die uns heute vor Augen führen, was seit Langem vor sich hin gärt, wo Fäulnis, Zerstörung und Entzweiung herrschen. Die einen reagieren darauf, indem sie davor warnen, die anderen, indem sie die Wunden tiefer reißen. Beide arbeiten an demselben Werk. Danke dafür, in meinem Gegner den Bruder zu erkennen. 

Danke dafür, nicht in Gleichgültigkeit und Lethargie zu versinken, denn sie sind die einzige tatsächliche Gefahr. Alles andere kann als Irrtum erkannt und geändert werden. Doch die Indifferenz macht stumpf und unbeweglich. Sie tötet. Denn sie schneidet uns ab von dem, was uns vom ersten Atemzug an Leben gibt: unsere Neugierde, zu entdecken, und unsere Fähigkeit, uns zu begeistern.

Danke dafür, dass die Dinge in diesem Frühling genau so sind, wie sie jetzt sind. So kann ich aus ihnen etwas bauen. Ich kann daran mitwirken, Bedingungen dafür zu schaffen, dass aus dem Humus einer untergehenden Zivilisation ein neuer, fruchtbarer Boden entsteht, auf dem Neues, Gesundes erwachsen kann.