Nirgendwo lebt sich Gemeinschaft genussvoller und unbeschwerter als am Esstisch. Vor allem dann, wenn dieser Tisch im Süden Frankreichs steht, in einem kleinen Winzerdorf zwischen den Stränden von Sète und den Ausläufern der Cevennen. Mehr als anderswo geht hier die Liebe zum Zusammensein und zum gemeinsamen Schaffen und Erleben durch den Magen. Eine Erzählung will Lust machen, nicht nur in der Küche kreativ zu werden.
Ich war wieder einmal umgezogen. Als ich im Hochsommer vor zehn Jahren mit meinen Pinseln in der Hand darauf wartete, dass der Staub sich legte, wusste ich nicht, worauf ich mich einließ. Es gab nichts in diesem südfranzösischen Winzerdorf: kein Café, keinen Bäcker, niemanden, den ich kannte. Eine Kirchturmuhr, die die Tage in halbe Stunden teilt, eine Weinkooperative, eine Burg aus dem Mittelalter, ein Rathaus, zwei Bushaltestellen, einen Briefkasten.
Zazou war die erste, die uns bekannt machte. Von ihren Raubzügen brachte sie uns Topflappen, Puschen, Stofftiere und allerlei Handliches, bis ich mit einem Korb von Tür zu Tür ging und meine neuen Nachbarn fragte: Gehört das Ihnen? Der zweite war Rachid. Jedes Mal, wenn sich genug Bauschutt angesammelt hatte, fuhr er den Gemeindetrecker vor unsere Garage und präsentierte uns den zufällig Vorbeikommenden. Christiane von gegenüber drückte uns ihre Hausschlüssel in die Hand und Henri sein Buch, das er über das 600-Seelen-Dorf geschrieben hatte.
Ab da war alles ganz einfach. Dorf und Weinberge wurden zu unserem Zuhause und die neuen Nachbarn zu Freunden. Manche sind hier geboren, viele sind zugezogen und alle haben sich dazu entschieden, hier zu leben. Niemand ist hier, weil er es muss. Die Menschen lieben ihren Ort. Sie lieben die Landschaften um ihn herum, die Mohnfelder im Frühjahr und das leuchtende Weinlaub im Herbst, den knirschenden Gesang der Zikaden im Sommer und die Mandelblüte im Winter, wenn man an klaren Tagen bis zu den Pyrenäen sehen kann.
Das ganze Jahr über sind Terrassen und Boulesplätze in Betrieb und dort, wo es nichts gibt, wird erfunden. Die Leute warten nicht darauf, dass man ihnen etwas Fertiges vorsetzt. Sie machen selbst. Konzerte, Ausstellungen, Märkte, Feste und immer wieder gemeinsame Essen. Hier lädt man nicht nur zu besonderen Anlässen ein. Zusammen essen ist Anlass genug. Oft wird improvisiert. Jeder bringt etwas mit und kein Tisch ist zu klein für Überraschungsgäste.
In einem Land, in dem das ganze Jahr über frisches Obst und Gemüse wächst, in dem Käse riechen darf und man beim Fleisch- und Fischkauf das Tier noch erkennen kann, ist die Auswahl groß. In vielen Häusern wird zwei Mal am Tag gekocht. Es mangelt nicht an Ideen. Die besten Rezepte entstehen, wenn etwas fehlt und durch etwas anderes ersetzt wird oder wenn sich jemand in den Zutaten vergreift.
So kommt hier vieles zusammen, was für mich Wichtigkeit hat und wegweisend ist für eine bessere Welt, wie ich sie mir vorstelle: Von verschiedenen Horizonten zusammenkommen und austauschen, fröhlich um einen Tisch herum sitzen, gut essen und genießen, gemeinsam kreativ sein, im Rhythmus der Natur leben, die Sinne offen halten für das Schöne und Gute und dankbar sein, es erleben zu dürfen.
Aus dieser Dynamik heraus ist ein Buch entstanden, in dem es ausschließlich um leichte Kost geht. „Und freitags kommt der Austernwagen“ ist ein Einblick in das Leben, das mir in meiner Wahlheimat so lieb geworden ist und das mir die Kraft gibt, hoffnungsvoll zu bleiben. Alle Menschen in der Erzählung sind echt. Erfunden sind nur ihre Rezepte, die sich wie Perlen aneinander reihen. Sie sind vielfach ausprobiert worden und wollen vor allem eines: den Leser dazu ermutigen, seinerseits erfinderisch zu werden und sein Leben auch mit nur auf den ersten Blick Banalem reich und bunt zu gestalten.