Freitag, 5. Mai 2017

Interview mit dem Magazin "SinndesLebens24"

Viele Menschen fühlen sich unglücklich in ihrem Leben und sehen sich als Opfer der äußeren Umstände. Schuld daran sind immer die anderen: die Gesellschaft, die Eltern, der Partner, der Chef, die Kollegen oder die Kindheit. Wie der Weg aus der Opferrolle hin zu einem selbstbestimmten, verantwortungsbewussten Leben gelingt, beschreibt Kerstin Chavent in ihrem im Februar 2017 veröffentlichten Buch „Das Licht fließt dahin wo es dunkel ist: Zuversicht für eine neue Zeit“. Im Interview erklärt sie warum es so wichtig ist, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, welche Rolle Reflexion und Selbstwahrnehmung dabei spielen und wie wir unser wahres Glück finden können.

Frau Chavent, was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für die weitverbreitete Haltung, sich als Opfer der äußeren Umstände zu sehen?

Chavent: Wo ein Opfer ist, ist auch ein Täter. Das kollektive Bewusstsein unserer Gesellschaft ist tief von dem Dreigespann Opfer, Täter und Retter geprägt. Das Opfer bin ich und die Täter sind die anderen. Sie haben angefangen. Sie irren sich, verhalten sich rücksichtslos und ungerecht und bringen mich in eine so missliche Lage, dass mir nur noch die Hoffnung auf einen Retter bleibt. Diese Einstellung bekommen wir mit in die Wiege gelegt.

Das Opferdasein macht uns den Alltag und das Zusammenleben schwer. Argwöhnisch achten wir darauf, dass uns der andere nicht auf die Füße tritt oder eine Arbeit wegnimmt, die wir sowieso nicht machen wollen. In jedem Fall ist er Schuld an meiner Misere. Einerseits leide ich unter meiner vermeintlichen Machtlosigkeit. Andererseits habe ich mich an sie gewöhnt und recht gemütlich in ihr eingerichtet.

Es ist viel einfacher, die Schuld bei anderen zu suchen als die Verantwortung bei sich selbst. Denn hierfür müsste ich es mir gefallen lassen, mich selbst in Frage zu stellen und an meinen alten Überzeugungen und Gewohnheiten zu rütteln. Das kann unbequem werden. Also sage ich mir lieber, dass die Welt und die Menschen eben schlecht sind und das Schicksal es nicht gut mit mir meint. Dann habe ich wenigstens Recht und immer ein Gesprächsthema zur Hand.

Warum ist es so gefährlich, die Welt in Opfer, Täter und Retter einzuteilen und die Verantwortung für das eigene Leben auf andere zu schieben?

Chavent: Unsere Opferrolle zwingt uns in die Passivität. „Ich kann nichts tun“. Das Gefühl der Hilflosigkeit bereitet den Weg für die edelste Gestalt des infernalen Trios: den Retter. Für den kleinsten Funken Hoffnung rolle ich ihm den roten Teppich aus, egal welche Färbung sein Ansinnen hat. Die Täter werden bestraft und mir kommt endlich Gerechtigkeit zu. Das Problem ist, dass die Täter das genauso sehen, nur umgekehrt.

Jede Art von Zerstörung nährt sich aus dem Glauben unseres beleidigten Egos, im Recht zu sein. Das Gute kämpft an meiner Seite gegen das Böse auf der anderen. Andersdenkendes, Anderslebendes, Andersfühlendes wird auf legitime Weise ausgemerzt. Jede von Menschen herbeigeführte Katastrophe, jede Verletzung unserer Rechte basiert auf dem Irrdenken, dass der andere (selber) Schuld ist.

Die Gewinner sind niemals die, die sich selbst für die Opfer und die anderen für die Täter halten, sondern diejenigen, die es verstehen, sich die Spaltung zwischen gut und böse, die sie oft selbst angezettelt haben, zunutze zu machen und ihre eigene Macht zu stärken. Weiter in SinndesLebens24.